Handschriftschuhe

Sie sind 1986/87 in der Entstehungszeit des Barnarella-Romans entstanden.

Die Handschriftschuh-Werkmappe Handschriftschuh I :

"ginka steinwachs selbzehnt, großer titel , bloßer titel ..."

Handschriftschuh II:

"8. doppelbild einer halbfrau aus der oderwelt ..."

Handschriftschuh III :

"15. anoregina coeli in terris.."

Hauchdünn (2002)

Über Handschriftschuhe: das Hand-Schrift-Schuh-Werk

von Torsten Flüh

 

Das Hand-Schrift-Schuh-Werk von Ginka Steinwachs aus dem Jahr 1986/87 wird zum ersten Mal im Maxiformat DIN a 3 in Farbe gezeigt: Instantcolor - Breitwand – 297 x 420 Millimeter.

Die Hand-Schrift-Schuhe passen auf kein DIN a 4 Blatt. Sie gehen darüber hinaus. Sie fallen aus dem Rahmen und haben Format. Das Format gibt den Titel für die Sammlung:

"DAS DUNKHELL, DAS DUNKHELL: ideen: auf ins neue ja, auf ins neue ja."

Die Schrift, der Schriftzug wie aus einem Atemzug wird Bild. Schrift, Bild, Geheimnisträger, Rätsel und Faszinosum. Es ist verhext. Das DUNKHELL erklärt sich als zu dunkel, um einfach Sinn zu machen, und zu hell, um sich in einer Gestalt fassen zu lassen. Die Mappe versammelt Blendwerk und zeigt es dem gefräßigen Auge. Es sind mehr Photo-Graphien denn Photokopien. Die Objekte, beschriebene, hauchdünne Plastikhandschuhe für Operationen am Schreibtisch und transparente Folien, werden zur Subjekt-Kunst. Auf den Handschuhen wie den Folien werden subjektive Operationen vorgenommen: "g. st., alias cyra de saint pierre alias ciranda de pedra alias hieronyma (k) anonyma im gehäus ..."

Die Arbeiten sind zur Entstehungszeit des Barnarella-Romans entstanden: Barnarella oder das Herzkunstwerk in der Flamme (Passagen Verlag, Wien 2002). Und entspringen dem Konzept der "verschriftlichung jeden atemzugs", wie Steinwachs schreibt – Schrift-Bild, Moment-Aufnahme, Geste.

Als Photo-Graphien im vergleichsweise Miniformat für den steinwachsschen Maximalismus erinnert die DUNKHELL-Mappe an die Arbeiten von Cy Twombly. Der französische Essayist und Philosoph Roland Barthes hat 1979 einmal geschrieben, dass die Schrift im Werk Twomblys vor allem Geste sei: "ein Gewirr, beinahe ein Geschmier, eine Achtlosigkeit". Bei Steinwachs läßt es sich schwer sagen, wo noch eine entzifferbare Schrift zu finden ist und wo die Schrift nackte Geste wird.

Malerische, zeichnerische, spielerische Elemente wie Momente lassen sich sehen. Sie sind unterschiedlich stark auf den einzelnen Objekten. Der Schriftzug ändert seine Richtungen. Wie dies lesen? Mal geht es Zug um Zug von links nach rechts. Aber auch ein Rechts nach Links, ein Stocken, ein Stolpern lassen Sinnhaftes aufblitzen. - Drehpunkte, Spiegelflächen, Transparenzen, Doppelbilder: "das Vage ist lebendig". (Barthes) 

Das weiße Blatt als Hintergrund hat seinen Anteil an der Photo-Graphie. Es rahmt und macht erst das Überlappen und das Über-den-Rahmen-hinaus der Handschrift und der Schuhe deutlich. "Neue Schuhe sind wie ein neues Leben," sagt ein chinesisches Sprichwort. Mit jedem Handschriftschuh wird ein neues, supplementäres Leben übergezogen. Präservative. Hauchdünn retten sie den Atemzug vor dem restlos Los. 

Das Folienhafte der Handschriftschuhe in der Serie wird nicht geleugnet. Vielmehr wird das Folienhafte durch die Re-Produktion photomechanisch herausgekehrt. Jede Reproduktion macht ein Original. Nicht nur weil es kommentiert, collagiert, signiert, numeriert und datiert ist.

© Ginka Steinwachs & Torsten Flüh 2002-2008