Quijote. Trip zwischen den Welten

Quijote. Trip zwischen den Welten. Ein Projekt nach Miguel de Cervantes. Mit zusätlichen Texten von Ginka Steinwachs, Jörg Albrecht, Diedrich Diederichsen, Roland Schimmerlpfenning, Juli Zeh u.a.

Regie: Stefan Pucher, Bühne: Barbara Ehnes, Kostüme Anabelle Witt

Premiere: 14. Januar 2012 im Thalia Theater Hamburg

ginka steinwachs

DULCINEA

STIMME DES IDEALS

Patrycia Ziolkowska:

Trauen SIE IHREN Augen.
Ich bin DULCINEA in voller Schönheit.
Im Buch immer wieder beschworen, aber
nur ein einziges Mal wirklich erblickt.
Von Sehen kann gar keine Rede sein.
Man sieht ja auch mit den Ohren.
Sancho el Panza hat mich auf die Bühne
bestellt. Und was mache ich nun?
Den Mund auf.
Auf den Mund.
Denn, obgleich reines Dorfkind, bin ich
Nicht auf den Mund gefallen. Und das
Sage ich IHNEN, was SIE schon immer
wissen wollten:

Der Don Quijote von Miguel de Cervantes ist beides zugleich: WiEderschrift ( mit E ) einer Vorlage und Widerschrift ( ohne e ) gleich Protest gegen dieselbe. Die Vorlage ist gleich doppelt vorhanden: einmal als Gattung des Ritterromans der Zeit schriftlich und einmal als Schatzkammer von Sprichwörtern, thesaurus linguae populi, mündlich, oral.
Sprichwörter sind Sediment gewordene Erfahrungen vergangener Generationen.
Beide Vorlagen sind personenbezogen.
Für den Ritterroman ist  DON QUICO, Abkürzung für Don Quijote,  zuständig. Für die Sprichwörter, welche dem schwergewichtigen flügelleicht von der Zunge gehen, Sancho el Panza.
Beide verhalten sich grundsätzlich wie  KOPF  Ritter und BAUCH Knappe zueinander. Sie sind in gewisser Weise auch wieder nur eine einzige Person: denn was kann der Kopf ohne Bauch und was kann der Bauch ohne Kopf schon leisten?
Ist IHNEN das nicht auch schon aufgefallen?
DON QUICO isSt ( mit zwei s ) im ganzen Buch auf 1.500 Seiten  fast nie. Er hat einfach kaum Hunger und wenig Durst.
Für sein Gehirn, als generierenden Faktor, um das es einzig geht, reicht das Wenige, das jederzeit durch weniger noch unterboten werden kann, bis hin zum Wenigsten und Allerwenigsten.
Er geht am BuchSTAB.
Verweilen wir doch ein wenig beim Gehen.
Frage, keineswegs rhetorische Frage: geht  DON QUICO nicht von Anfang an   i n   seinem Kopf spazieren, einem panavisionsschönen Riesenkopf, der aus Landstrassen, Wüsten, Einöden, Schenken, Parks & Schlössern besteht?
Damit ist die Antwort heraus, auf die Frage, woraus  sich die Widerschrift als Gegensatz zur WiEderschrift speist?
Aus Leben.
Aus Erfahrung.
Aus Leid und Niederlagen.
Exkursiv: es gibt seit je zwei Arten von Literatur: diejenige, welche aus Büchern Bücher macht, und diejenige, in welcher Zeit Ort und Umstand Bücher machen.
Die Verfasser der ersteren gehören zu den Gelehrten.
Die Verfasser des zweiten Genres dagegen sind als Autoren mit allen Sinnen bei der Sache, auskurieren als Ärzte den Patienten der eigenen Zeit, setzen das Hörrohr an, die Brille auf, wo immer sie können, und vermeiden weder Lupen & Vergrösserungsgläser noch Schallverstärker.
Das mögen andere entscheiden als ich.
Ob die WiEder schrift mit E oder die Widerschrift ohne e im Roman überwiegt. Mir persönlich scheint, das Gleichgewicht zwischen beiden könnte nicht ausgewogener sein.
Zum Beweis: Cervantes, der Mann mit Halskrause, hat g e l e b t. Leibhaftig gelebt! 1547 in Alcala de Henares geboren ( und 1616 sagt man, am gleichen Tag wie Shakespeare gestorben ), wächst er in unsicherer Zeit in noch unsichereren Verhältnissen auf.
Sein Vater war von Beruf Bader, ambulanter Chirurg, verdient mal viel, mal wenig und kommt ins Gefängnis ( Ort der Aussonderung, in den Schuldturm ) weil er sich fallweise finanziell übernommen hat.  Später geht es dem Sohn - aus freilich anderem Grund - nicht anders. Das Gefängnis als Familien – wie Adelssitz. Auch damit läßt sich pokern.
Jetzt ist er jung und strebt dahin, wohin wir alle bleibend wollen … zum Theater. Einmal in Madrid, in Sevilla, und nicht in der Provinz, lockt ihn die Schaubühne.
Hier angesichts des gesprochenen Wortes und das heißt im D i a l o g, bildet sich der WiEderspruch mit E allererst regelrecht zum Widerspruch ohne um.
Das Theater bildet ja nicht nur ab.
Keine Paraphrase. Es steckt den Finger in die Wunde, kritisiert und utopiert. Hinter jedem Stück steckt doch als Rübe in der Suppe der Wunsch nach 
G e g e n w e l t  a u f  d e m   P a p i e r, Brettern, welche Welt deuten. An der Welt deuteLn. Sie umdeuten.
Für mich deutsch & deutlich wie der Gefangene aus Kapitel 39-41, Bd.I, entscheidet sich unser Autor, 1470, also mit 23 Jahren, für den Beruf des Soldaten. Diesem Typ widmet er im ersten Band ein halbes Kapitel, aus dem klar hervorgeht, daß er weiß, wovon er spricht, be-sonders bei Darstellung der Gefahr im Krieg für Leib & Leben.
Und zwar nicht aus Jux und Dollerei, sondern weil er muß.
Die Axt über ihm als Damoklesschwert.
Bis zur Aufklärung ist es noch weit.
Ich rekapituliere: einmal wird das eigene Schreiben von zuvor Geschriebenen ab- oder gegengeschrieben, haben wir vereinfacht gesagt: und einmal wird dem Leben, werden Zeit, Ort, Umstand & Personen, die kommen nun freilich hinzu, ein Text abgelauscht.
Die hinzugekommenen Personen sind Freunde und Feinde, Vorgesetzte und Nachgesetzte, zu Kurze,  psychische Zwerge,  und sehr Lange,  psychische Riesen. Sie kommen alle vor. Ziemlich alle. Mehr Temperamente und Persönlichkeitsfärbungen gibt es im 16ten Jahrhundert nicht.
DON QUIJOTE AM BUCHSTAB, SEINER LANZE, SEINEM SPIESS, SCHWERT, SEINER WAFFE GEGEN DAS UNVORHER-GESEHENE.
Cervantes mit Brille, Lupe, Vergrösserungsglas, Teleskop & Hörrohr.
Hier geht es um den Ausgleich von RealitätsHOCKEN und RealitätsFLUCHT.
Poetisch gesagt: das PLÖTZLICHT.
Ein Licht aus dem Nichts, wie aus dem Ohngefähr. Ein Licht, darin durchaus dem Bühnenscheinwerfer vergleichbar, das gewissermaßen a u f tritt, ohne überhaupt
e i n zutreten. Es ist einfach da.
Der Roman ist voll davon. Und das ist sein Geheimnis. Voll solcher PLÖTZLICHTER.
Sie sind in der Regel zerebral. DON QUICOS Bauch, alias Sancho Panza, sieht gar nichts oder eine Mühle. DON QUICO Kopf, ähnlich sein alter ego, sieht GIGANTEN oder Probleme da, wo Lösungen sind, und rüstet sich in selbstaufreibender Weise, zum Streit.
Für ihn gilt der neue Spruch: ‚allzeit bereit’.
Das Visier des selbstgebastelten Helms herunter und ran an den  Feind. Soweit die vierte Stimme. Die Stimme des Wildernden Umstandes. Born to be wild. Schön. Auch meine.
Noch mehr die Stimme des Mildernden Umstandes. Wie oft & wie verloren habe ich, haben wir alle Stunden, Tage, Wochen unseres Lebens mit dem Kampf gegen die Windmühlen der Einbildungskraft verbracht.
Wer seiner Einbildung lebt, hat doch jedenfalls einE Bildung. Frei nach Friedrich Schlegel und Peter Szondi: wer einseitig ist, hat doch wenigstens eine Seite.
Er oder sie steht auf einem Bein.
So stehe ich nun.
Meine Zeit ist um.
Die des Stückes auch.
Das können SIE mir glauben, daß ich keine
Lust habe, mich wieder hinter Buchdeckeln
zu verstecke(l)n.
Wir Dorfschönen sind nicht so blöd, wie es
die BMW zwei – oder vierradfahrenden Ritter
von heute wollen.
Das muß man sich mal vorstellen: diese Rosen,
diese Haube, dieses Kleid zwischen Seiten:
ein logistisches Problem.
Aber SIE haben mich erblickt,
ich habe IHNEN Licht aufgesetzt
und nun holen SIE das Original aus dem
Schrank und können es zu Hause lesen.
Es wiEder holen und mich widerrufen.
Hasta la vista
D U L C I N E A
Stimme des Ideals  

© Ginka Steinwachs & Torsten Flüh 2008-2012